„Politische Schlüsselerfahrung – Verantwortete Prävention ohne Ausgrenzung und Isolation"
Als ich 1985 das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit übernahm, wusste man wenig über HIV, man stand noch erst am Anfang der medizinischen Erforschung dieser Infektionskrankheit. Das betraf Diagnose und Therapie.
Die Angst, Aids werde sich wie eine Seuche massenhaft ausbreiten, war allgegenwärtig und steckte in jedem Bürger. AIDS wurde zudem in erster Linie als eine „Krankheit der Homosexuelle", der Prostituierten und Drogenabhängigen dargestellt, als Strafe für eine sündhafte Lebensweise.
Angesichts des zunächst geringen Kenntnisstandes steigerte sich die Gefahr einer nicht beherrschbaren Seuche. Es folgten Forderungen aus Politik und Gesellschaft, die Betroffenen durch Serientests zu identifizieren und zu isolieren.
Wie konnte es gelingen, zugleich die Infizierten und Kranken wie auch die breite Bevölkerung zu schützen. Und das ohne Ausgrenzung und Isolationsmaßnahmen. Wir wollten die Krankheit bekämpfen, nicht die Kranken. Es ist innerhalb eines guten halben Jahres von Februar bis Oktober 1987 mit hohem Einsatz vieler Unterstützer/innen aus der Zivilgesellschaft (Aidshilfen, Medizinern, Musik- und Theaterleben, Seelsorgen und Sozialwesen bis hin zu Einzelpersonen) und einer breiten Aufklärungskampagne (mit Schwächen und Stärken) die Einstellungen und Erwartungen positiv zu verändern.
Wir erlebten ein hohes Maß an Eigenverantwortung, an vorbeugenden Schutzmaßnahmen und solidarischer Hilfe.
ES gab sie, die Ausgrenzung bei Wohnen, Arbeit, auch bei Pflege. Doch entscheidender war die Erfahrung, dass Menschen selbst in diesen belastenden Risikosituationen, verantwortlich handelten und sich mitmenschlich verhielten. Es kam nicht zum gesellschaftlichen Crash. Deutschland wurde und blieb ein nachahmenwertes Beispiel für andere Länder. Es kam zu einer breiten Initiativbewegung, zur Landesstiftung in NRW und zur Bundestiftung, die 1988 fusionierten. In diesem Feld engagiere ich mich weiterhin. Es bleibt eine Schlüsselerfahrung.
Rita Süssmuth wird am Mittwoch den 26.09.2019 an der Abschlussveranstaltung zum 25. Jubiläum der Seniorenhaus GmbH der Cellitinnen zur hl. Maria teilnehmen.
Zum Öffentlichkeitstag der FrauenStudien der Fakultät für Erziehungswissenschaft Universität Bielefeld hält Rita Süssmuth am Samstag den 28.09.2019 einen Gastvortrag zum Thema „Würdevolles Leben im Alter – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe".
Aktuelle Literatur:
Rita Süssmuth; Das Gift des Politischen. Gedanken und Erinnerungen, München 2015.